Zivilcourage oder Verantwortungsdiffusion?

Diese Situation ist tatsächlich passiert. 

 

Ich habe einen Moment gebraucht um zu begreifen, was passiert und bin dann sofort zu den Jugendlichen gerannt. Das Mädchen, was zum Opfer geworden ist, konnte sich kurz bevor ich dort war, befreien. Sie war komplett verstört. Ihr Gesicht wurde durch das andere Mädchen übel zugerichtet. Die Lippe war aufplatzt, das Auge geschwollen, sie blutete.Sie wollte weiterlaufen, wollte zuerst keine Hilfe. Ich habe sie jedoch nicht gehen lassen, mein Handy zeitgleich gezogen und die Polizei gerufen. Die Gruppe der Jugendlichen beobachtete mich und meinen Freund und entfernte sich langsam von uns.

 

Wir brachten das Mädchen, was 14 Jahre alt war, zu einer Bank. Wir beruhigten sie. Sie weinte und zitterte am ganzen Körper. 15 Minuten später war die Polizei da sowie ein Krankenwagen. Unsere Aussagen wurden aufgenommen, das Mädchen wurde medizinisch betreut. 

 

Ein zweiter Streifenwagen konnte zeitgleich die Gruppe der Jugendlichen ausfindig machen.

 

Im Nachhinein habe ich verstanden, was mich an dieser Situation so irritiert hat.

 

Wir waren etwa 30 Meter von der Schlägerei entfernt. In unmittelbarer Nähe waren bestimmt fünf andere Erwachsene. Keiner dieser Erwachsenen hat eingegriffen oder die Polizei gerufen. Ein Mann ging vorbei und schüttelte den Kopf.

 

Mein Blick, mein Fokus war auf die Körperverletzung vor mir gerichtet und für mich stand fest, dass ich in dem Moment auch handeln werde.

 

In meinen Fortbildungen zum Thema Deeskalation gebe ich weiter, dass Eigenschutz in Situationen die eskalieren, oberste Priorität hat. 

 

Keiner muss eingreifen, wenn er es sich nicht zutraut. Aber jeder Erwachsene wäre in der Lage sein Handy zu nehmen, die Polizei zu rufen oder andere Erwachsene bewusst anzusprechen und Hilfe einzufordern.

 

Trauen sich die Menschen nicht mehr zu einzugreifen und Zivilcourage zu zeigen? 

 

Oder entsteht eine Verantwortungsdiffusion, weil keiner sich zuständig fühlt und denkt, dass ja die anderen etwas tun könnten und eingreifen könnten?

 

Der Bystander Effekt aus dem Jahre 1964 dokumentiert einen Mord an einer 28 jährigen Frau, den ungefähr 38 andere Menschen über einen Zeitraum von Mindestens 30 Minuten beobachtet haben und mitbekommen haben. Keiner tat etwas, um der Frau zu helfen.

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Zuschauereffekt

 

Solche Situationen sind Alltag und passieren längst nicht nur im Jahre 1964. 

 

Durch die Medien bekannte Situationen in denen Menschen Zivilcourage zeigten und dies mit ihrem Leben bezahlen mussten, verunsichern die Bevölkerung. 

Die junge Frau Tudge  oder Dominik Brunner zum Beispiel. Beide wollten als Fremde in eskalierende Konflikte eingreifen und sind leider selbst zum Opfer geworden.

 

Wenn ich in eine Situation kommen würde, in der ich angegriffen werden würde, würde ich mir wünschen Hilfe und Unterstützung von anderen Menschen zu erhalten. Es lassen sich nämlich nicht alle Situationen deeskalieren.

 

Wie geht es Ihnen? Was sind Sie bereit selbst zu tun? Haben Sie einen Leitfaden im Kopf, wie Sie in solchen oder ähnlichen Situationen handeln können? 

 

Hilfe und Unterstützung in und kurz nach Gewaltsituationen zu erfahren, ist übrigens elementar, damit Traumafolgesymptome reduziert werden können und direkt aufgefangen werden können.

 

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