Die dissoziale Kompensationsstrategie

Die dissoziale Kompensationsstrategie.

 

Ich beobachte sie oft in der Arbeit mit jungen Männern. Ich schreibe deshalb von einer Kompensationsstrategie, weil aus meiner Sicht frühere verletzende und traumatische Erfahrungen nicht verarbeitet wurden und ein dissozialer Anteil herausgebildet wurde, um emotional zu überleben.

 

Auch wenn ich die jungen Männer noch nicht gut kenne, mache ich meistens eine Punktlandung, wenn ich meine Beobachtungen wertschätzend benenne. Sie finden sich genau dort wieder und fühlen sich gesehen. Eine gute Voraussetzung, um miteinander arbeiten zu können.

 

In einem Gruppentraining versuchte sich ein junger Mann direkt in Szene zu setzen und sein Image zu präsentieren, indem er immer wieder betonte wie unberechenbar er sei und dass er gerne und oft Kiefer brechen würde. Sein Motto war: "Ich will gefürchtet werden, nicht geliebt. Denn Liebe vergeht. Die Furcht bleibt."

 

Natürlich lasse ich mich davon nicht beeindrucken, sondern es geht mir darum, hinter die Fassade zu schauen und Zugang zu ihm zu finden. Jedes Verhalten hat eine Funktion und so hatte auch sein Image eine Funktion: Nicht mehr verletzt zu werden und Menschen und Situationen zu kontrollieren. Er hat sich für den Pol des Täters entschieden und durch seine Impulsivität und geringe Frustrationstoleranz war er leicht zu aktivieren. Vor allem wenn er Berührungspunkte mit seinem tief verletzten Selbstwert in Verbindung brachte. Dies war ein Prozess, der ihm nicht bewusst war.

 

Dennoch konnte er nach einiger Zeit seine dissoziale Kompensationsstrategie reduzieren.

 

Er konnte erfahren, dass mein Kollege und ich zwar mit seinen Themen arbeiten, aber seine Grenzen respektieren und achten und nicht darüber hinaus gehen.

 

Das brachte ihm viel Sicherheit. Er konnte im weiteren Verlauf des Trainings benennen, dass er früher unter anderem gemobbt wurde und nie wieder Opfer sein wollte.

 

In den Kampfesübungen zeigte er sich überhaupt nicht unberechenbar und hart, sondern sehr rücksichtsvoll.

 

Ein neues Feld zu kreieren und einen sicheren Raum zu schaffen kann ein erster Anfang sein, um wichtige Impulse zu setzen und den Jungs neue Bindungserfahrungen zu ermöglichen.

 

 

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